Ehrenbürger Reissmüller: Nach 49 Jahren NS-Vergangenheit enttarnt!

Ingolstadt erkannte Wilhelm Reissmüller posthum die Ehrenbürgerwürde ab, nachdem seine NS-Vergangenheit aufgedeckt wurde.
Ingolstadt erkannte Wilhelm Reissmüller posthum die Ehrenbürgerwürde ab, nachdem seine NS-Vergangenheit aufgedeckt wurde. (Symbolbild/NAG)

Ingolstadt, Deutschland - Die Stadt Ingolstadt hat posthum die Ehrenbürgerwürde von Wilhelm Reissmüller aberkannt, nachdem die Aufarbeitung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit in den Fokus rückte. Dies geschah 49 Jahre nach seiner Ernennung zum Ehrenbürger und 32 Jahre nach seinem Tod. Die Entscheidung des Stadtrats fiel mit einer Gegenstimme und markiert einen Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit Reissmüllers umstrittener Rolle während der NS-Zeit. Gerhard Reichert, der sich seit den 1970er-Jahren mit dieser Thematik beschäftigt, kritisierte lange Zeit das Ignorieren seiner Vergangenheit durch die Stadt und stellte die Frage, warum Reissmüller nicht früher zur Rechenschaft gezogen wurde.

Reissmüller, geboren am 19. Dezember 1911 in Süßen, wurde 1949 Herausgeber des Donaukurier, einer der auflagenstärksten Tageszeitungen in Bayern. Zuvor hatte er von 1936 bis 1945 die Geschicke des nationalsozialistischen Hetzblatts Donaubote geleitet. Der Verlag wurde von Ludwig Liebl gegründet, dessen Tochter Reissmüller 1937 heiratete. Trotz seiner maßgeblichen Rolle in der NSDAP und weiteren nationalsozialistischen Organisationen, bestritt Reissmüller zeitlebens seine Verstrickung und ging juristisch gegen Kritiker vor, die auf seine Vergangenheit hinwiesen, einschließlich Reichert.

Aufarbeitung der Vergangenheit

Neue Recherchen, die 2022 von Süddeutsche.de beauftragt wurden, haben ans Licht gebracht, dass Reissmüller aktiv mit dem NS-Regime zusammenarbeitete. Er war unter anderem Mitglied im NS-Studentenbund, der SA und sogar der SS. Seine Promotionsakte aus den 1930er Jahren, die über 30 Blätter umfasst, beleuchtet zudem seine nahe Verbindung zum Regime. Susanne Wanninger, Leiterin des Archivs der Universität München, erklärte, die Akte sei „definitiv keine Standardakte“ und stünde symbolisch für die anhaltende Scheu, die Vergangenheit aufzuklären.

Im vergangenen Jahr wurde eine Forschungsarbeit angeordnet, die sich intensiv mit der NS-Zeit in Ingolstadt und Reissmüllers Rolle darin auseinandersetzt. Der Stadtrat betonte, dass Reissmüllers nachkriegszeitliche Wohltaten niemals seine Taten im Dienst des nationalsozialistischen Staates rechtfertigen würden. Vor diesem Hintergrund wurde der Beschluss zur Aberkennung seiner Ehrenbürgerwürde getroffen.

Einflussreicher Verleger und seine Methoden

Reissmüller nutzte seine Medienmacht, um gegen von den Nazis verfolgte Gruppen zu hetzen. In der Zeit nach dem Krieg hatte er Schwierigkeiten, seinen Verlag zurückzubekommen, da die amerikanischen Behörden die Presseinhalte überwachten. Dennoch behauptete er bis zu seinem Tod 1993, keinen Bezug zum Nationalsozialismus gehabt zu haben. Dies änderte sich erst, als die Recherchen von Journalist Thomas Schuler eine andere Wahrheit ans Licht brachten: Reissmüller profitierte nicht nur vom NS-Regime, sondern war auch aktiver Teil davon.

Die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde und die fortlaufende Diskussion über Reissmüllers Erbe werfen ein Schlaglicht auf den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Deutschland. Sie verdeutlichen die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den lokalen Honoratioren und ihrer Geschichte.

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Ort Ingolstadt, Deutschland
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